Über »Joseph de Maistre und die Gegenaufklärung«
In seiner radikalen Kritik an der Französischen Revolution und ihren geistigen Vorbereitern avancierte der Joseph de Maistre zum kraftvollen Ahnvater des europäischen Konservativismus. In seinem Werk, das in dieser Lesung umfassend besprochen wird, feiert noch einmal das alte Europa seine Rückkehr, bevor es in die industrialisierte Massengesellschaft absinkt.Die Lesung befasst sich eingehend mit dem bedeutsamsten Vertreter der Gegenaufklärung nach der Französischen Revolution und stellt damit ein heute oft vergessenen oder sogar totgeschwiegenes Kapitel der Ideengeschichte wieder ins Zentrum der Erinnerung. Nach den Maßstäben einer Fortschrittsvorstellung liberaler Gesellschaft gilt das Gedankengut eines de Maistre bestenfalls als reaktionär oder unerwünscht.Als ein begnadeter Autor und Polemiker einer untergegangenen Welt diskutierte der wütende aber intelligente und sogar humorvolle Joseph de Maistre brandaktuelle Themen und begab sich bewusst in größtmöglichen Widerspruch zur Geistesepoche der „Aufklärung“ : Wie soll Autorität begründet werden? Welchen Stellenwert sollte die Religion übernehmen? Was ist die menschliche Natur? Ist eine Zukunft ohne Krieg, Opfer und Ungleichheit möglich?
Joseph de Maistre und die Gegenaufklärung
Hier finden sich die Audio- und Videoplaylisten zum Kurs.
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Einführung
Joseph de Maistre (1753-1821) gilt als einer der Ahnherren des modernen Konservatismus. Dabei schöpfte er aus alten Quellen: metaphysische Philosophie und Staatsgedanke des alten Europas, die er im Angesicht der radikalen Krise durch die Französische Revolution neu aufbereitete und mit seiner Kritik an die Ideen der Aufklärungsepoche des 18. Jahrhunderts, die uns bis heute im Westen maßgebend sind, verband. In der ersten Sitzung wird ein Abriss der geistigen Grundlagen des Grafen de Maistres anhand der Beispiele Augustinus und Thomas von Aquin gegeben, sowie beispielhaft anhand von Francis Bacon und Jean-Jacques Rousseau die Strahlkraft der Aufklärung aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine Kurzbiographie de Maistres, der Zeitzeuge ebenjener großen Umwälzungen war, die nach seinem Urteil ihren Schatten auch auf die kommenden Jahrhunderte hinaus werfen würden.
In seinem Werk „Betrachtungen über Frankreich“ (1796) hält de Maistre gnadenlos Gericht über die Französische Revolution. Es ist von der Grundidee getragen, daß die Revolution kein Jota Gutes an sich habe; sie ganz „satanisch“ sei. Trotzdem ist sie bemerkenswerterweise Werkzeug in den Händen des einen guten Gottes. In der zweiten Einheit werden bereits geniale Ideen de Maistres vorgestellt, für die er berühmt werden wird: Sein Glaube an die in der Geschichte wirksame Kraft der göttlichen Vorsehung, sein Hass gegen Umsturz und Rebellion, sein Monarchismus, der Krieg als eine Art Naturzustand des Menschen , die paradoxe Eigenheit unseres Universums, wie Gott selbst das Böse und Abscheuliche für sich, also im Sinne des Guten, arbeiten lässt; und vieles mehr.
Thema der dritten Einheit und vierten Einheit ist die Beschäftigung mit einem unbestrittenen Hauptwerk Joseph de Maistres: „Die Abende von St. Petersburg“. Ausgehend von der Frage nach der göttlichen Gerechtigkeit - wie also der Gerechte unter einem guten Gott leiden könne (Theodizee-Frage) - entspinnt der Verfasser ein großes weitgehendes geschichtstheologisches und -philosophisches Opus Magnum. Das Problem des Bösen wird besprochen, gesellschaftlich, menschlich, metaphysisch. De Maistre hält seine berüchtigte Lobrede auf den Scharfrichter. Der Aufklärungsphilosoph John Locke und der empiristische Inhalt seiner Lehren, wonach der Mensch als „tabula rasa“, als unbeschriebenes Blatt, auf die Welt komme, wird wütend kritisiert.
Nahtlose Fortsetzung der letzten Einheit. Wir lernen die Tugendlehre de Maistres näher kennen. Das Menschenbild der Aufklärungsepoche hält er für maßlos überschätzt und für viel zu optimistisch. Sein pessimistisches Bild vom Menschen, der schließlich im Kriege, Henker seiner selbst wird, ist hier ganz offenbar. Der Friede des Herzens allein ist in dem gläubigen Vertrauen des Menschen in legitime Autoritäten zu finden und die allerhöchste von ihnen ist Gott selbst. Das Geheimnis des Opfers fasziniert hier Joseph de Maistre aufs Äußerte. In ihm sieht er universelles Weltgesetz, das er schließlich in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt.
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Der Anti – Rousseau
Rousseaus Idee, dass eine Nation auf einen (fiktiven) Gesellschaftsvertrag gründe, der folglich auch nach Belieben geändert werden könne, ist für die modernen Ideen und ihre Verfassungen wegweisend geworden. Joseph de Maistre widerspricht Rousseau grundsätzlich und sieht in dessen Werk sogar einen gefährlichen Freibrief für Chaos und Verwüstung. Er stellt die Frage nach dem Souverän und den Prinzipien der Herrschaft und besiegelt damit seine Aktualität für jede Zeit, in der staatliche und religiöse Autorität zu bröckeln beginnt.
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Der „Neue Staat“
Neben den „Abenden von St. Petersburg“ ist „Vom Papste“ das Hauptwerk von Joseph de Maistre und gleichzeitig auch dasjenige, das im Vergleich zu übrigen Werken am meisten ausschert. Hier entwirft er nämlich eine eigene in die Zukunft gerichtete Utopie, an deren Spitze eine einzigartige theokratischer Monolith stehen soll: Der Papst. Dabei greift de Maistre auf altes Ordnungsdenken zurück, das er aber eigenwillig mit dem modernen Gedanken einer europäischen Zentralmacht kombiniert. Hier zeigt sich der Graf als konservativer Revolutionär.
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Erbe und Einfluss
Nachdem ausführlich das gegenaufklärerische Denken von Graf de Maistre vorgestellt worden ist, wird in dieser Einheit seiner Wirkungsgeschichte nachgespürt. Dabei erfuhr er zahlreiche eigenwillige Interpretationen. Sogar auf die Literatur des 19. Jahrhunderts wirkte er sich aus. Umstrittene Denker wie der Staatsphilosoph Carl Schmitt nahmen ausdrücklich auf ihn Bezug und sogar eine Rezeption von links wird skizziert. Im jeden Fall kann ausgeführt werden, dass Joseph de Maistre und seine Kritik an viele Leitgedanken der Aufklärungsepoche weiterhin aktuell bleiben.